Es ist der 5.Dezember, frühabends. Ich lehne an meinem Auto und genieße meine dritte Zigarette. Eine von den langen dünnen, von denen manche Männer meinen, es seien „Frauen-Zigaretten“. Wieder so ein Klischee!
Da sehe ich im Rummel der Feierabendzeit vor dem Bahnhof eine Gestalt herausragen, rot gewandet und mit einer großen Mütze: der Nikolaus. In der einen Hand trägt er einen goldenen Stab, in der anderen schleppt er einen Leinensack. Er kommt direkt auf mich zu. Will er mir etwas aus seinem Sack geben? Er möchte mit mir mitfahren, sagt er.
„Wohin soll´s gehen, heiliger Mann?“ frage ich. „Bitte fahren Sie mich in die Eisengasse zum Kinderheim. Ich möchte dort die Kinder besuchen.“
„Mach ich gerne“, antworte ich, helfe dem Nikolaus mit Stab, Mütze und Sack einzusteigen – was etwas umständlich ist – und fahre los. Die Fahrt dauert nicht lange und als wir ankommen, frage ich meinen ungewöhnlichen Fahrgast: „Machen Sie das eigentlich ganz allein? Bei uns zuhause war da immer ein Krampus (so heißt der Knecht Ruprecht bei uns) mit dabei.“
„Ich hab auch einen“ erwidert der Nikolaus und verzieht sein Gesicht dass ich ein Grinsen unter seinem dichten Bart erkennen kann.
„Wo denn?“ frage ich unbekümmert und er sagt:
„Sie!“
„Ich??“ Was…..Wie….?
„Ja. Das wäre doch fein, wenn Sie mein Helfer hier sind.“
„Ja, aber ich hab das noch nie gemacht. Wie könnte ich Ihnen da helfen….?“
„Wenn Sie diesen Sack tragen. Sie gehen mit mir rein, halten sich im Hintergrund und wenn ich Ihnen ein Zeichen gebe, öffnen Sie den Sack, nehmen ein Geschenk nach dem anderen heraus und reichen es mir. Ich übergebe es dann jedem einzelnen Kind.“
Ich fühle mich jetzt wirklich überrumpelt, aber: wie sollte ich da Nein sagen? Und ehrlich gesagt reizt es mich, die „Arbeit“ des Nikolaus mal aus der Nähe kennenzulernen. Also packe ich den Sack und schreite möglichst würdevoll hinter dem Mann in Rot her.
Als sich auf ein Klopfen des Nikolaus mit seinem Stab die Türe zum Aufenthaltsraum der Kinder öffnet, bin ich überwältigt von dem Anblick: ich sehe etwa fünfzehn Kinder in einem Kreis sitzen, vor jedem Kind ein kleines Teelicht, in der Mitte bunte Tücher und große Kerzen. Eine feierliche Atmosphäre ist im Raum. Die Kinder blicken alle gespannt und fast ehrfurchtsvoll – nein, nicht zu mir – zum Nikolaus! Aber die Kinder sitzen nicht einfach da: einige sitzen in einem Rollstuhl, zwei kleinere auf dem Schoß einer Betreuerin. Andere sitzen auf kleinen bunten Stühlchen. Wie mir der Nikolaus nachher erklärt, handelt es sich hier um ein Heim für Kinder mit Behinderungen – leichteren und schwereren. Die Kinder stimmen mit ihren Betreuerinnen – es ist auch ein männlicher Betreuer dabei – ein Lied an. Es ist das mir altbekannte Nikolaus-Lied „Lasst uns froh und munter sein, und uns recht von Herzen freu´n, lustig, lustig trallalala, heut´ ist Nikolaus-Abend da….“. Die Kinder singen voller Inbrunst und wenn es auch nicht immer ganz stimmig ist: es klingt einfach wunderbar in meinen Ohren. Die Freude der Kinder ist spürbar. Der Nikolaus bedankt sich, er freue sich darüber, dass er so herzlich und stimmungsvoll empfangen werde. Die Kinder lachen. Jetzt bittet der Mann mit der Bischofsmütze, eines der Kinder möge doch seinen Bischofsstab halten. Natürlich zeigen gleich ein paar auf und der Nikolaus zeigt sich diplomatisch: „Alle die wollen können den Stab jetzt abwechselnd halten.“ Ein Mädchen im Rollstuhl bekommt ihn zuerst und der Nikolaus setzt sich daneben auf einen bereitgestellten Stuhl. Er schlägt sein rotes Buch auf und beginnt nun, den Kindern etwas über sie vorzulesen. „Jeder Mensch hat seine besondere Geschichte“ beginnt er und zeigt mit der Hand rundum, „die kleineren von euch haben noch eine kleinere und die Größeren und eure Betreuerinnen und euer Betreuer eine längere. Aber alle eine besondere. Also, da sitzt zum Beispiel die Nadine….“ Und so weiß er über jedes der Kinder etwas Besonderes zu sagen. Natürlich hat eine der Betreuerinnen ihm einen großen Zettel an der Eingangstür zugesteckt, auf dem über jedes einzelne Kind ein paar Stichworte stehen. Die Kinder schauen gebannt auf den Nikolaus und hören auf seine Worte. Es ist mäuschenstill im Raum, man kann fast die Kerzen brennen hören.
Als alle Kinder etwas vom Nikolaus gehört haben und der Nikolausstab rundum gegangen ist, entsteht eine kleine Stille. Da steht eines der Mädchen, es dürfte etwa zehn Jahre alt sein, auf und sagt: „Danke, lieber Nikolaus. Darf ich auch etwas zu unseren Mami´s und unserem Papi sagen?“ „Natürlich darfst du das gerne“ erwidert der Nikolaus, obwohl er sicher erstaunt ist über dieses Mädchen. „Dann möchte ich euch Mami´s und dir Papi danke sagen für die Geduld, die ihr oft mit uns habt und für alles was ihr für uns tut. Und dafür haben wir für jede ein Tuch bemalt.“ Sie geht in die Mitte, nimmt eines der Tücher und drei weitere Kinder nehmen jeweils ein Tuch und übergeben es ihren Betreuerinnen und dem jungen Mann. Jetzt klatschen alle Kinder und rufen ganz aufgeregt durcheinander. Da ist es Zeit für den Nikolaus, die mitgebrachten Geschenke zu übergeben. Auf seinen Wink komme ich jetzt in Aktion, trete in den Raum hinein, öffne den Sack und übergebe die roten Nikolaus-Säckchen dem Nikolaus, der sie jedem Kind einzeln in die Hand gibt. Jetzt ist es endgültig aus mit der Ruhe. Die Kinder rufen durcheinander, manche beginnen schon ihre Säckchen zu öffnen.
Die Betreuerinnen rufen aber nochmal zur Ordnung: „Bevor ihr zum Auspacken anfängt, wollen wir doch dem Nikolaus und seinem Begleiter danke sagen und noch ein Lied mit auf den Weg geben!“
Mit diesen Klängen und dem fröhlichen Lachen der Kinder noch im Ohr schreiten wir hinaus. Es ist bereits dunkel geworden und ein paar Schneeflocken fallen uns entgegen.
„Das war für mich jetzt ein besonderes Ereignis“ sagte ich zum Nikolaus, „und ich danke Ihnen, dass Sie mich so überrumpelt haben mitzukommen. Wo ist denn ihre nächste Mission?“
Der Nikolaus nennt mir die Adresse.
„Ich bringe Sie dorthin und ich nehme nichts für diese Fahrten. Das ist Ehrensache. Es lebe der Nikolaus!“
TIERISCH MENSCHLICHES (Das Buch ist im Buchhandel und bei Behmann in Egg erhältlich)
23 Erzählungen mit 23 dazu passenden Kinderzeichnungen
„Was macht einen gewöhnlichen Moment unvergesslich? Sie suchen nach Geschichten, die das Leben in all seinen Facetten einfangen? Nach Erzählungen, die Sie zum Lächeln bringen und gleichzeitig nachdenklich stimmen? Dann ist „Tierisch Menschliches“ von Albert A. Feldkircher genau das Richtige für Sie.
In einer Zeit, in der alles schnelllebig und oberflächlich scheint, hält der Autor inne und zeigt uns die kleinen Wunder des Alltags. Seine Geschichten entstammen dem wahren Leben – authentisch, berührend und voller überraschender Wendungen.
Ergänzt durch charmante Kinderzeichnungen wird dieses Buch zu einem besonderen Leseerlebnis, das generationenübergreifend berührt. Es erinnert uns daran, dass hinter jeder Begegnung eine Geschichte steckt und dass die wertvollsten Momente oft die unscheinbarsten sind.
Link zur Autoren-Webseite: https://www.litego.de/books/978-3-99159-341-6
Über den Autor
Albert A. Feldkircher, Jg. 1947, lebt in Egg/Bregenzerwald in einem über vierhundert Jahre alten Wälderhaus, ist verheiratet mit Monika seit 1969, hat mit ihr zwei erwachsene Söhne, fünf Enkelkinder und inzwischen auch eine einjährige Urenkelin.
Im Quellberuf Exportkaufmann, wechselte er nach Ausbildungen 1994 in die Erwachsenenbildung, war selbständig als Trainer, Coach und Berater tätig. Seine Schwerpunkte sind Kommunikation, Konfliktmanagement, Stress- und Burnout-Prävention, Persönlichkeitsentwicklung sowie Männerberatung.
25 Jahre lang leitete er zusammen mit seiner Frau Monika Paarseminare und Kommunikationstrainings. Daraus sind Bücher wie „Kraftquellen in Paarbeziehungen (Tyrolia 1998), „Meines Vaters Hände“ (Eigenverlag 2000). „Das bist du mir wert“ (Tyrolia 2008) und „Was die Liebe nährt“ (Tyrolia 2012) entstanden. Die letzte Veröffentlichung: „MANNsein heute (Bucher Verlag 2022) entstammt den Erfahrungen aus langjähriger Männerarbeit und Coachings mit Männern.
Heute genießt der Autor die gewonnene freie Zeit in der Natur, mit Kochen, mit Reisen – und natürlich mit Schreiben, was immer schon zu seinen Leidenschaften gehörte.
So sind jetzt auch die Kurzgeschichten entstanden, aus vielerlei Erlebnissen in seinem Leben.


